Erzählender Bericht #3 zu Gaspard Buma

Performance von Gaspard Buma, 6. Oktober 2011
Ausstellungsraum Klingental, Basel CH (Recollecting the Act)
Interview: 6. Oktober 2011 (bm)
Transkription: 12. Oktober 2011 (dt)

„Es gibt etwas Reales, das sich dem Medium Sprache entzieht“

Stehst du unter Schweigepflicht?

V: Inwiefern?

Darfst du darüber sprechen, was da drin passiert ist?

V: Ja, darf ich. Er darf nicht.

Magst du darüber zu sprechen, was da drin passiert ist?

V: Hm, ja… Also, ich kann darüber reden, wie ich mich gefühlt hab.

Das wäre wunderbar. Ich habe da eine grosse Liste an Gefühlsausdrücken. Ich weiss nicht, soll ich sie dir als Inspiration geben? Oder möchtest du frei erzählen?

V: Ich glaub, ich muss währenddessen… Läuft das schon?

Ja, aber ich kann jederzeit abstellen. Das ist kein Problem.

V: Ich muss nur kurz eine Skizze machen. Wegen der Erinnerung, weisst du. Kannst du mir kurz deinen Kuli geben?

Magst du auch gleich kommentieren, wenn du eine Skizze machst? Oder möchtest du es lieber stumm tun?

V: Nein, ich kann das auch kommentieren, weil der Zettel den ich bekam, recht merkwürdig war. Der sah eher aus wie so eine Beerdigungseinladung. Es hatte so einen schwarzen Rahmen gehabt, so Punkte an der Seite und die Ecken waren wie angebissen. Da stand dann drauf… Es war eine Liste: „you and me“. „You“, das war rot und „me“ war schwarz. Und dann war das erste „activ“, das zweite „passiv“, das dritte war „naked“, das vierte war… was war das vierte? Das vorletzte war „music“ und das letzte war Punkt Punkt Punkt. Ich glaube, das waren die fünf. Ehrlich gesagt… Ja, siehst du, jetzt kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Am meisten hat mich glaub ich dieses „naked“ irritiert. Und das hab ich dem Gaspard auch gesagt, dass irgendwie witzigerweise mir es einfacher fallen würde, auf der Bühne mich nackt auszuziehen, als mit ihm. Und er hat dann irgendwie zweimal „naked“ angekreuzt und irgendwie war das ziemlich bedrückend für mich. Weil ich die Kategorie freigelassen habe. Wir haben uns dann auch darüber unterhalten und darauf meinte er, dass es halt auf der Bühne auch so einen „frame“ gibt. Also, dass die ZuschauerInnen auch irgendwie einen Schutz bieten. Wir wollten eigentlich den „monkeydance“ machen und es wurde dann eine Mischung aus „monkeydance“ und Abramovic-und-Ulay-Revival. Wir haben beide beschlossen, dass wir nicht leiden wollen.

Wie muss ich mir das vorstellen?

V: Naja, es gibt ja diese, ich weisst nicht diese, ich weiss nicht wie der Titel dieser Performance ist. Ulay hält den Bogen… Ne wie war das?
Ich glaub, der Pfeil zeigt auf Marina Abramovic und… Sie hält den Bogen und er hält den Pfeil, so. Wir hatten aber eigentlich nur so ein Gummiband. Irgendwie hab ich gedacht, jetzt müssen wir da total seriös sein. Gaspard hat dann aber irgendwann anfangen müssen zu lächeln und hat gemeint, er will gar nicht so ernst sein. Ich hab gemeint: Naja, es ist ja schon gar nicht ernst, weil wir irgendwie keine Hosen mehr anhatten und keine Schuhe. Und an den Füssen hatten wir aufgeblasene Latexhandschuhe, die befestigt waren, mit einem Klebeband. Es war ganz… für mich extrem nah und extrem schwierig zugleich. Er hatte dann noch so ein leichengrünes Tuch über einen Tisch liegen und mit diesen Latexhandschuhen hat das auch irgendwie sowas von einem Operationssaal. Als würde man da jetzt irgendwie so…
Ich glaub, man muss auch von sich was rauskehren. Es passiert, glaub ich, unweigerlich. Ich war ziemlich neidisch, dass ich vorher mitbekommen hab, dass die Person, die vor mir drin war, Musik bekommen hat und ich nicht. Ich glaube, er wollte Abwechslung.

Hat sie dir auch erzählt, dass sie eine Massage erhalten hat? Nicht nur Musik, sondern auch eine Massage?

V: Nein, das macht mich natürlich noch viel neidischer.

Also, die Person die eben vor dir war…

V: Ja.

Mit den…

V: Mit den Locken, genau. Nein das weiss ich nicht.

Hattet Ihr euch kurz ausgetauscht? Hat sich das zufällig ergeben?
Oder wie hast du erfahren, dass sie Musik hörte?

V: Ich hab es von aussen gehört. Er darf ja nicht darüber reden. Wir haben nicht darüber gesprochen.
Aber das ist jetzt natürlich ein ganz neuer Aspekt. Aber ich glaub auch fast, er wär mir echt zu nahe gewesen. Ausserdem kann ich professionell massieren und hab da höhere Ansprüche.

Ich war ja auch drin. Ich war die Nr.3, ganz zu Beginn. Wir haben uns wie ein Spiegeltanz… also, wir sind uns gegenüber gestanden und haben uns gespiegelt. Zuerst über eine Punktspiegelung. Das hat aber nicht funktioniert. Er hat irgendwie rechts und links vertauscht. Er war noch nicht so geübt. Und dann haben wir direkt gespiegelt. Das ging vielleicht sieben Minuten lang. Eine eher langsame Geschichte.

V: Also, recht einfach dann auch?

Ja, es war eben auch ein intimer Moment, wo es auch kippen konnte. Ich fand es spannend mit einem mir wildfremden Mann, der ja ein bisschen grösser ist als ich… Es war ein langsamer, bedächtiger Tanz, eigentlich mit ganz langsamen Bewegungen. Eine ruhige Geschichte. Ich hab mir gar nicht so viel dabei gedacht. Es war auch nicht klar, wer führt. Ich hab „aktiv“ und „passiv“ angekreuzt. Und es war wie ein Ausloten. Ist er jetzt dran oder bin ich dran? Irgendwann kippte es in eine Interaktion, dass es nicht mehr klar war, dass er der Performer ist und ich komme zu Besuch. Es war eigentlich eine unaufgeregte Sache. Wenn ich jetzt so höre, dass ihr Latexschuhe anhattet…

V: Was ich total vergessen habe zu erzählen, ist eigentlich, dass ich ihm erstmal abgesprochen habe oder bezweifelt habe, dass er das jetzt fünf Jahre für sich behält bzw. ob man sich diese Bürde aufhalsen sollte. Ich glaube, es gibt oft unter Performern und Performerinnen dieses Ding: Man macht sich jetzt einen Score und das muss dann eingehalten werden. Ich hab zu ihm gesagt, er werde es sicher seinem Hund erzählen. Darauf meinte er, er hätte gar keinen Hund. Wir haben uns dann ein bisschen darüber unterhalten, dass diese Erinnerungen bei einem bleiben. Ich weiss halt auch nicht, ob dieses entweder oder? Ja? Da frag ich mich dann halt. Es ist schwierig. Wenn ich drüben im Vortrag bin, frag ich mich auch, warum wieder klassisch dokumentiert wird, mit Video und Foto und eventuell noch mit Aufnahmegerät. Jedesmal stellen sich erneut diese Fragen und ich hab erneut keine Antwort. Und glaube aber immer mehr, auch wenn das gar nicht mehr so „in“ ist nach der ganzen poststrukturalistischen Debatte… Irgendwie denk ich doch mittlerweile, es gibt vielleicht einen Mehrwert, der sich über die Metaphysik erklären lässt. Da bin gerade dran, mir zu überlegen. Als ich von Wien nach Basel gefahren bin, da fährt man durch Tirol. Jetzt ist Herbst und es gibt abends ein ganz spezielles Licht und das auf den Bergen drauf! Ich weiss nicht, es ist für mich einfach zu kurz gegriffen, dies mit dem Erhabenen zu argumentieren. Es gibt was Reales. Das ist auch die Brücke zur Performance, das sich irgendwie einfach der Sprache entzieht, also dem Medium Sprache, aber auch anderen Medien entzieht. Jede Art von Dokumentation ist wie ein „peal“, es ist nur eine Annäherung.

Wie siehst du das mit der Erzählung als Form der Dokumentation?

V: Die Erzählung find ich super!

Im Vergleich z.B. zu den Videodokumentationen?

V: Meinst du jetzt Erzählung im Sinne einer fiktionalen Erzählung?

Nein, im Bezug auf die Dokumentation eines Geschehens oder einer Performance oder z.B. auch eines verwirrenden Moments.

V: Es ist ja auch nicht so unlogisch, dass du darauf kommst, weil ich dir ja jetzt gerade erzähle.

Ich lass dich auch erzählen, ich unterbreche nicht.

V: Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen verschiedenen Arten des Erzählens. Man sieht nur, was man kennt bzw. es gibt einfach verschiedene Wahrheiten, die sich speisen aus sozialen, kulturellen Hintergründen, Biographien usw. Das muss man nicht auflisten. Da gibt es natürlich das Erzählen im Sinne von einer Zeitzeugenschaft, aber was mich viel mehr interessiert ist eine Art Übersetzung in fiktionales Erzählen, das es schafft, eine neue Gegenwart zu erzeugen. Das was wahrscheinlich Uwe Wirth vorher auch meinte mit, dass das Werk in der Literatur erst durch das Lesen entsteht. Ich glaub schon auch, dass das für die Performance ein interessanter Moment wäre. Nicht immer dem Versuch des Nacherzählens zu folgen, sondern eigentlich die eigene, gegenwärtige Erzählung zu erschaffen.
Ich glaub, das war ein guter Schlusspunkt.

Herzlichen Dank!

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Über archivperformativ

archiv performativ: ein Modell: Ein Vermittlungs- und Ausstellungsprojekt von Performancekunst und ihren Artefakten im Ausstellungsraum Klingental, Kasernenstrasse 23, 4058 Basel / www.ausstellungsraum.ch Ausstellung vom 14. August bis 11. September 2011 Öffnungszeiten: Di. bis Fr. von 15 bis 18 Uhr, Sa. und So. von 11 bis 17 Uhr Der Ausstellungsraum dient rund zwanzig eingeladenen Künstler/innen, Kurator/innen, Forschenden, Dozierenden und ihren Student/innen aus dem In- und Ausland als Experimentierfeld, Forschungsstation und Aufenthaltsraum. Zentraler Aspekt dieser Anlage ist es, verschiedene methodische Zugänge und theoretische Ansätze im gegenseitigen Austausch der verschiedenen wissenschaftlichen und künstlerischen Felder zu erproben, zu diskutieren und in öffentlichen Veranstaltungen zu präsentieren – in gewisser Weise Forschung auch als performativen Vorgang zu betreiben. Öffentliche Präsentationen und Veranstaltungen: Freitag, 19. August, 26. August, 2. September und 9. September, jeweils um 18 Uhr Die Veranstaltungen am Ende jeder «Projektwoche» bieten die Gelegenheit, unmittelbar in die Forschungsarbeit Einblick zu nehmen und mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Das Spektrum reicht von Live-Performances über Filmvorführungen bis hin zu Vorträgen und moderierten Diskussionen. archivperformativ.wordpress.com/category/archiv-performativ-ein-modell/
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