RECORD. REPLAY 2: EINBRUCH INS ARCHIV UND EINIGE ERUPTIONEN
Performances und Strategien ihrer Dokumentation
Performances von Judith Huber (Künstlerin, Luzern), Andrea Saemann (Künstlerin, Basel); Führung durch das Modellarchiv mit Katrin Grögel (Kunsthistorikerin, Basel) und Donna Kukama (Artist, Johannesburg); Sichtungen des Dokumentationsmaterials von Prof. Dr. Sabine Gebhardt Fink (Kunst- und Kulturwissenschaftlerin, Basel) und von Pascale Grau (Künstlerin/Kulturwissenschaftlerin, Basel).
Vortrag von Sabine Gebhardt Fink, Prof. Dr. ICS ZHDK und HSLU: Aufarbeitung der Reihe „Transformance“ am 13.12.2001 im Rahmen des „archiv performativ“ vom 22.-26. August 2011
Juriert haben Tansformance: Silvia Buol, Pascale Grau, Norbert Klassen, Sylwia Zytynska und ich.
Eingeladene KünstlerInnen und SchauspielerInnen waren: Lena Eriksson mit Hagar Schmidhalter und Chen Tan, Anne Hody, Renate Hug, Heinrich Lüber, Irene Maag, Desirée Meiser, Hinrich Sachs, Selma Weber und Clara Saner.
Es gab eine vermittelnde Begleitveranstaltung in Form einer Diskussion zu „Transformance“ mit Samuel Herzog anlässlich der Regionale-Vernissage im Kaskadenkondensator am 1.12.2001.
Das Budget konnte ich bis jetzt nicht rekonstruieren, da ich das entsprechende Dokument nicht im Archiv auffinden konnte.
Die Veranstaltung Transformance mäanderte durch folgende Orte: Kaskadenkondensator und Sudhaus; Wettsteinbrücke, Kunsthalle Basel; Transferbus; Kunstraum Riehen; Transferbus und Cargo Bar.
Der Anlass begann um 19 Uhr und endete ca. 23 Uhr.
Das Publikum bestand aus rund 50 TeilnehmerInnen.
Zu Rekonstruktion und Erinnerung
Das Feld der Performance Kunst wird – wie kaum ein anderes – beherrscht von stetig neue Ausschlüsse produzierenden Ansprüchen auf Deutungshoheit oder exklusive Quellenzugänglichkeit; sei dies seitens von ProduzentInnen, sei dies seitens der Galerien oder Ausstellungsinstitutionen und Archive. Dienen letztere doch oftmals als Ablagerungsorte von niemals zugänglich gemachten Quellenmaterialen zu Performance Kunst in Form von Videos, Fotos und anderem.
Aus diesem Grund interessieren mich besonders kollaborative Arbeitsweisen im Umgang mit Dokumenten der Performance Kunst wie etwa bei Performance Chronik Basel, bei welchen auch Aspekte der Selbst-Ermächtigung und des Queer-Reading eine wichtige Rolle spielen.
Ausgangspunkt meiner Auslegeordnung im Modellarchiv sind Dokumente und Materialien zum Performanceanlass „Transformance“ am 13. Dezember 2001, den ich in Zusammenarbeit mit Pascale Grau konzipiert habe. Im Modellarchiv habe ich ausgehend von diesen Quellen zwei Formen der Auseinandersetzung übereinander gelegt: nämlich eine Rekonstruktionsform des Erinnerns und nachträglichen Reflektierens und eine andere Rekonstruktionsform, die „Quellenmaterial“ im Sinne des Französischen Historikers Pierre Nora, zitiert.
Zur Quellenlage
Es gibt eine Videoaufzeichnung von Pascale Grau, eine Dokumentation im Auftrag von Lena Eriksson von Daniel Brefin. Fotodokumente in Schwarz-Weiss von Thomas Fink und Pressebilder des Fotografen Peter Schnetz.
Weiter standen mir ein Flyer der Regionale, das Datenblatt des Kaskadenkondensators, Artikel der Basler Zeitung, der Flyer des Dezemberprogrammes des Kasko, sowie das von mir erstellte Pressebulletin und ein Konzept der Reihe für die Finanzierungsgesuche zur Verfügung.
Zusätzlich dazu habe ich im Vorfeld dieser Archivwoche verschiedene KünstlerInnen kontaktiert. Lena Eriksson konnte zusätzliches Videomaterial für die Recherche zur Verfügung stellen.
Eine Sicht auf den Handlungsverlauf von Transformance
Ab 19 Uhr fanden um Kaskadenkondensator mehrere, parallele performative Handlungen statt.
– zwei Ansprachen wurden gehalten
– Irene Maag richtete einen Futternapf für den „Spaziergang mit Schwein“, indem Sie Gemüse vom Eröffnungsbuffet zerkleinerte
– Das Komitee der Papierlosen erstellte Ausweise für alle Anwesenden auf Einladung von Clara Saner/Heinrich Lüber
– Bestseller-Titel der Regionale Eingaben wurden als T-Shirts ans Publikum im Beisein von Claude Gaçon an der Bar verkauft
An sich begann der Anlass mit Alltagshandlungen, die ihr Augenmerk mehr auf die „Einrichtung“, als auf die Aktionen selbst lenken. Sowohl die Ausstellungsinstitution, das Vernissagebuffet, die falsche Passstelle als auch die Bar erschienen als Umschlagorte künstlerischer Produktion.
Die Performance o.T. von Hinrich Sachs, bei welcher dieser eine Liste zu Konzeptkunst und zu Konzeptkünstlern verlas, inszenierte ein Paradoxon; indem Sachs im Sprechakt Kunst-Konzepte vorstellte, löste er die Sprachhandlung im Rahmen der Aufführung aus John Austins Definition von Sprechakten heraus.
Es klang folgendermassen:
konzeptkunst ist eine kunstform der 60er und 70er jahre
konzeptkünstler hatten geld
konzeptkünstler erstellen listen,
konzeptkunst hat eine langatmig, pedantische sprache
die meisten konzeptkünstler leben noch und können zu diesen aussagen befragt werden
Die anschliessende Performance „Spaziergang mit Sau“ von Irene Maag im Beisein der Schweinebesitzerin begann mit dem Nichterscheinen des Hauptakteurs: des Schweins.
Offensichtlich wollte das Schwein nicht Lift fahren und konnte deshalb nicht den Ausstellungsraum aufsuchen – wie es ursprünglich geplant war. Auch die Aktion auf der Wettsteinbrücke verliess das Schwein vorzeitig und durchkreuzte so die vermutlich zitierte Idee, dem lebenden Schwein die Bilder in der Kunsthalle zu erklären.
Bei der Tanzperformance „Korbstuhlprojekt“ von Renate Hug auf der Wettsteinbrücke rückten wiederum die Nebenhandlungen um die ZuschauerInnen herum und die Soundscapes ins Zentrum der Wahrnehmung wie: Knatternde Mopeds, Windgeräusche, Störungen im Kameraton, das im Schneegestöber entschwindende Schwein…
Für diese Performance musste ich eine Genehmigung für die Benutzung der Allmend einholen. Die Auflage war, dass der Verkehr nicht beeinträchtigt werden durfte; sie sollte also – per Dekret – eine Performance ohne eigentlich bewusst werdenden Handlungsraum sein.
„Geschenkclub – Cadeaux sans frontières – Regali per tutti – Giftshop“ stellte eine partizipative Performance dar. Clara Saner und Selma Weber hatten sie in der Kunsthalle situiert.
In dieser Arbeit wurde der Handlungsablauf eines bestehenden Rituals aufgenommen und verschoben.
Im Gegensatz dazu schien die Performance „Bus 1 & 2“ von Heinrich Lüber, die während der Busfahrt zum Kunstraum Riehen stattfand, Bewegung einzufrieren. In dieser Arbeit kroch der verborgene Künstler wie in Zeitlupe durch ein Rohrsystem und durch den fahrenden Bus. Gleichzeitig verlas Desirée Meiser eine fiktive Reisebeschreibung einer japanischen Touristin in Rothenburg.
Durch das Busfenster erschien, wie ein Bühnenbild, die nächtliche Stadt. Über diese Ansicht legten sich die Erzählungen fiktiver Stadtansichten.
Die Beschreibung von „Erleuchtungen“ von Lena Eriksson, Hagar Schmidhalter und Chen Tan im Kunstraum Riehen fasse ich kurz, da Pascale ausführlich auf die Arbeit eingehen wird. Diese Arbeit thematisierte in unterschiedlicher Form kurze Momente des Aufblitzens und des Verschwindens von Handlungsräumen.
An dieser Stelle ist nochmals auf Philip Auslanders These hinzuweisen, welche besagt dass das Verständnis, was eine Live-Performance sei, nur in Relation zur dokumentierten/aufgezeichneten Performance konstruiert werden kann – und dass sich diese Vorstellung medial aber auch historisch und kulturell ständig weiter verschiebt.
Der Abend endete mit der Projektion der Videoperformance „Magisches Spiel“
von Anne Hody. Die Künstlerin, mit Bart und Anzug als Zauberer verkleidet, bewegte durch beschwörende Gesten eine silbern schimmernde Kugel über ein Parkhausdeck.
An der Arbeit interessiert mich heute die Queer-Thematik und der Gender-Aspekt sowie die Anfänge der Performance Art z.B. Eleonor Antins „King of Solana“ Beach.